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Schweizer Illustrierte


Interview mit dem Magazin "Schweizer Illustrierte", 26. April 2011

Schweizer Illustrierte: Ein schönes, neues Büro haben Sie, Herr Leuenberger.

Moritz Leuenberger: Ästhetik wird in der Politik enorm unterschätzt. Die Umgebung in der wir arbeiten prägt uns. Wer sich ins Büro des Vorgängers setzt, ohne die Einrichtung zu verändern, legt sich quasi in ein ungemachtes, fremdes Bett. Solchen Leuten traue ich keine Kreativität zu. Einrichtung ist für mich Inspiration.

Haben Sie aus Ihrem Bundesratsbüro etwas hierher mitgenommen?

Was denken Sie denn! Das gehörte alles dem Bund. Nur ein paar private Gegenstände habe ich gezügelt, die bronzene Cicero-Büste und den Abfallkübel, den ich übrigens mal aus einem Müllcontainer gefischt habe.

Sie sind jetzt alt Bundesrat. Gefällt Ihnen dieser Titel?

Ehrlich gesagt, nicht besonders. Ich bin ja kein Pensionär. Der Titel ist übrigens ganz neu, früher hiess man einfach weiterhin Bundesrat. Ex Bundesrat geht auch nicht, Christoph Blocher sagt immer, ex bedeute, man sei abgewählt worden. In Österreich heisst es a. D., ausser Dienst, aber das klingt mir zu sehr nach ausrangierter Eisenbahn. Am liebsten werde ich als Moritz Leuenberger vorgestellt.

Nun sind Sie seit wenigen Tagen Implenia-Verwaltungsrat. Was machen Sie da genau?

Ich bin im Verwaltungsrat mit anderen Sieben - ganz ähnlich wie früher. Das ist auch eine Kollegialbehörde, in der jeder seine Fähigkeiten einbringt. Bei mir sind das meine Erfahrungen in Nachhaltigkeit und Kommunikation; in der Privatwirtschaft wird Transparenz und offenes Kommunizieren ja immer wichtiger.

Was ist der grösste Unterschied zwischen einem Verwaltungsrat und einem Bundesrat?

Der Bundesrat ist aus verschiedenen Parteien zusammengesetzt, die gegensätzliche politische Ausrichtungen einnehmen. Ein Verwaltungsrat hat auf den ersten Blick nur ein Ziel - nämlich die wirtschaftliche Prosperität. Dieser erste Blick trügt aber: Es gibt Untersuchungen zur Bankenkrise, die zeigen, dass Banken, deren Verwaltungsräte unterschiedlich zusammengesetzt waren und auch Nicht-Banker miteinbezogen, viel besser überlebt haben, weil diese Nicht-Banker die sogenannt dummen und einfachen Fragen stellten. Auch ich bin mit Sicherheit einer, der nun in der Wirtschaft sehr simple Fragen stellen wird - und genau das wird auch von mir erwartet.

Sie hatten allerdings Bedenken, ob Sie tatsächlich in den Verwaltungsrat gewählt werden.

Ja, das war umstritten. Die Öffentlichkeit hatte ja eine gewisse Rollenerwartung an mich: Alle dachten, ich würde wohl das Opernhaus oder die Pro Senectute leiten. Dies, und dass ich mich so rasch zu einem VR-Mandat entschied, sorgte für Irritation, und das wiederum verunsicherte einzelne Implenia-Aktionäre. Trotzdem wurde ich mit 78 Prozent der Stimmen gewählt - so ein Glanzresultat habe ich als Bundesrat nie erzielt.

Aber auch Bundesbern hat Bedenken wegen Ihres neuen Mandates. Es gab gar einen Vorstoss im Ständerat. Ärgert Sie das?

Nein, damit habe ich kein Problem. Was mich aber ärgerte ist, dass man mir im Ständerat falsche, niederträchtige Motive unterschob. Man unterschob mir, ich würde Implenia dann bei Verhandlungen mit dem Bund helfen oder mit der Stadt Zürich. So etwas werde ich nie tun. Ich bin nur für die zukünftige Strategie, insbesondere die Nachhaltigkeit geholt worden.

Haben Sie darum - um ganz bestimmt nicht in die Baulöwen-Ecke gestellt zu werden - auch noch ein Mandat bei Greenpeace angenommen?

Greenpeace hat ganz neu einen "Club d'inspiration" ins Leben gerufen, der sieben Mitglieder haben wird - schon wieder sieben, das scheint mir zu entsprechen. Die Idee ist, dass wir eine Art ethischen Beirat bilden. Die zwei Mandate, bei Greenpeace und Implenia, sind sinnbildlich für meine politische Haltung: Sowohl eine grundsätzliche Überzeugung zu pflegen, als auch den Mut zur praktischen Umsetzung zu wagen.

Sie vereinen in Ihrer neuen Tätigkeit Politik und Wirtschaft. Man hat den Eindruck, dass die Politik die Wirtschaft immer stärker kontrolliert.

Ich sehen das genau umgekehrt. Seit dem Fall der Berliner Mauer hat sich die Wirtschaft globalisiert und von der nationalen Begleitung der Politik befreit. Seither hechelt die Politik der globalisierten Wirtschaft hinterher. Das sieht man jetzt wieder bei der "Too big to fail"-Problematik. In das ewig alte Gestöhne, man habe zu viele Vorschriften, stimme ich auch in meinem neuen Job nicht ein.

Als Bundesrat haben Sie sich letzten Herbst mit den Wortenverabschiedet: "Wir treten auf, wir spielen, wir treten ab." Auf welcher Bühne spielen Sie derzeit sonst noch?

Nebst den Implenia- und Greenpeace-Mandaten habe ich sehr viele Anfragen für Reden und Auftritte. Ich bin immer noch am Suchen, nach welchen Kriterien ich die Anfragen annehmen soll. Oft werde ich für Reden zu den Themen Nachhaltigkeit und Energie angefragt, aber ich bin da zurückhaltend. Ich möchte nicht in die Otto-Stich-Rolle verfallen, dem Bundesrat besserwisserisch zu sagen, was er tun soll.

Was aus Ihrem früheren Bundesratsleben vermissen Sie?

Ich muss jetzt alle Entscheide allein treffen. Vorher hatte ich einen Stab, mit dem ich sämtliche Fragen besprechen konnte. Ich bin ein Teammensch, und ich habe momentan kein Team, das fehlt mir sehr.

Das tägliche Zugfahren zwischen Zürich und Bernfehlt Ihnen wohl weniger.

Oh doch. Ich vermisse meinen Pendler-Club. Wir waren jeden Morgen ein paar Leute, sassen immer im Ruheabteil, schwiegen uns an und lernten uns so im stillen Dialog kennen. Mit diesen Pendlern habe ich heute noch Kontakt, wir treffen uns häufig zum Apéro.

In Ihrer Abschiedsrede sagten Sie, dass Sie als Bundesrat 115 Tunnel eingeweiht haben, aber kein einziges AKW. Mit Fukushima hat Ihre Aussage eine neue Brisanz bekommen.

In so einer Situation zu triumphieren, wäre geschmacklos. Aber wir alle müssen uns jetzt neu orientieren. Selbst diejenigen, die immer noch glauben, AKWs seien absolut sicher, müssen doch einsehen, dass eine Pro-AKW-Abstimmung in der Schweiz auf absehbare Zeit nicht zu gewinnen wäre. Schon allein darum, aus rein opportunistischen Überlegungen, müssen sich einige Politiker neu ausrichten.

Wegen Fukushima ist das Thema erneuerbare Energien salonfähig geworden. Muss denn die Menschheit immer erst am Abgrund stehen, bevor sie sich besinnt?

Es scheint leider so, ist im Grunde aber nur natürlich: Man kann Risiken im Kopf errechnen, aber eigentlich wollen wir sie im Herz gar nicht wahrhaben. Wir akzeptieren Risiken, blenden sie halt einfach aus und verdrängen, was nicht falsch ist, sonst könnten wir ja gar nicht glücklich leben. Aber Politiker dürfen das nicht. Politiker haben eine Gesamtverantwortung und müssen Risiken systematisch eliminieren.

Hat die Politik die Gefahren falsch eingeschätzt?

Jeder Energieträger birgt Risiken, doch sind sie verantwortbar. Bei der Kernkraft wurde das gigantische Risiko mit dem Argument kleingeredet, es passiere ja statistisch gesehene nur alle paar tausend Jahre etwas. Man blendete aus, dass das eben auch bedeutet, dass es heute passieren kann. Und selbst wenn erst in tausend Jahren etwas schiefgeht: Welches Recht haben wir, künftigen Generationen etwas zuzumuten, was wir nicht wollen?

Man spricht vom Fukushima-Effekt. Und meint damit die Reaktion der Bevölkerung an der Wahlurne, in der Schweiz zu Gunsten der Grünliberalen. Wird es künftig vermehrt so sein, dass aktuelles Weltgeschehen unser Wahlverhalten kurzfristig beeinflusst?

Früher hatte jede Partei ihren grünen Flügel. Dann setzte eine Art Ideologisierung ein. Die SVP rannte nur noch ihrem eigenen Wahlerfolg und Populismus nach, die Freisinnigen orientierten sich nur noch wirtschaftlich, die Grünen machten nur noch Umweltpolitik. Das rächt sich jetzt. Volksparteien sollten sich von einer monothematischen Bewegung unterscheiden, in dem sie alle Bereiche des Lebens behandeln. Nur wer die Zielkonflikte unserer Gesellschaft wirklich austrägt, ist glaubwürdig.

Sie meinen die Grünliberalen?

Wenn dereinst die anderen Parteien diese grüne Thematik ebenfalls wieder aufnehmen, kann es gut sein, dass die Grünliberalen an Bedeutung verlieren.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch, Herr alt Bundes… Nein, den Titel mögen Sie ja nicht. Aber was schreiben wir in Ihrer Biographie-Box denn unter "Beruf"?

Gute Frage ... Ich würde sagen: selbständig.