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Es ändern die Lügen und wir uns in ihnen


Nietzsche Gesellschaft
Sils, 30. September 2018
Moritz Leuenberger

A. Realpolitische Erfahrungen

Die bisherigen Beiträge Ihres Kolloquiums drehten sich zum grossen Teil um das Thema Wahrheit, einige um Wahrheit und Lüge. Als einziger spreche ich heute ausschliesslich zur Lüge; ich bin schliesslich Politiker.

Davon sind viele überzeugt, nirgends wird so viel gelogen wie in der Politik.

Umgekehrt sind viele Politiker überzeugt, die Wahrheit ganz allein zu kennen und zu vertreten. Sie sind beseelt vom Glauben an die eigene Wahrheit und verstehen sie als absolute Wahrheit.

Es gibt politische Ideologen, es gibt religiöse Eiferer, in deren Köpfe brennt ein heiliger Scheiterhaufen, der ständig auf Hexen und Opfer wartet, um sie zu verbrennen.

Folgt der andere ihrem Glauben nicht, ist er ein Ungläubiger oder er ist politisch unkorrekt. Jede Überzeugung kann zur Ideologie erstarren. Auch der Liberalismus fordert seine Opfer. Am Freitag sprach eines zu uns.  Auch der Eifer um politische Korrektheit hat die Form von Ideologien, Glaubenskriegen angenommen.

Diese absolutistische Grundeinstellung versteht alles, was sich ihr entgegenstellt, als Lüge:

  • „Die westliche Lebenslüge.“
  • „Der Kommunismus ist eine Lüge.“ 

Nicht nur die Politik pflegt solche Absolutheit. Als Teilnehmende an diesem Kongress kennen Sie die Sätze wie die folgenden:

  • «Die wahre Welt ist erreichbar für den Weisen, den Frommen, den Tugendhaften, – er lebt in ihr, er ist sie.»
  • Oder: «Ich, Plato, b i n die Wahrheit.»

Sich auf die Auseinandersetzung um eine absolute Wahrheit zu beschränken, kann, das ist mein Missbehagen als Politiker, auch Flucht vor der realen Verantwortung auf philosophische Wolken oder die Beschränkung auf Gewissensethik sein. Das Gefühl beschleicht mich oft, wenn ich die Sternstunde Philosophie einschalte.

Diese Flucht lässt all diejenigen im Stich, die

  • im täglichen politischen Leben kleine, aber konkrete Entscheide zu treffen haben und dabei stets mit der Abgrenzung von List und Lüge, von Wahrheit und Halbwahrheit ringen müssen.
  • Es sind meist gar nicht spektakuläre Auseinandersetzungen um Wahrheit und Lüge, welche die Tagespolitik entscheidend prägen.

 

Persönlich wandelte sich meine Einstellung zur Lüge und gleichzeitig wandelte ich mich selber,

  • im Amt
  • später nach dem Rücktritt und, noch später,
  • in den jetzigen postfaktischen Zeiten.

1. Im Amt

Ein ständiger Lügenvorwurf schwebt über der Politik. Selbst beste Freunde (Kurt Aeschbacher, Franz Hohler und Peter von Matt) erhoben ihn stets wieder.  (von Matt: in Intrige in der Literatur: «Der Politiker muss lügen..»)

Das hat mich empört, denn ich war der Überzeugung,

  • ohne Lüge zu arbeiten,
  • eine Politik ohne Lüge sei möglich, so wie ein Privatleben ohne Lüge auch möglich sei.
  • Im Vergleich zur privaten und beruflichen Sphäre werde in der Politik weniger gelogen, und zwar wegen der Medien.
  • Weil der Verdacht der Lüge als Damoklesschwert ständig über allen Aussagen der Politiker baumelt,
  • weil die öffentlichen Scheinwerfer ständig nach Lügen suchen, glaubte ich,
  • werde in der Politik weniger gelogen als in privaten oder geschäftlichen Bereichen.
  • Ich schrieb dazu gar ein Buch über die Lüge und die Abgrenzung zur List.

Heute bin ich mit meinen Argumentationen in diesem Buch nicht mehr so einverstanden:

2. Nach dem Rücktritt

Nach dem Rücktritt konnte ich meine Arbeit mit Distanz von einem neuen Standpunkt, ausserhalb der ganzen Maschinerie betrachten.

(Vanessa Lemm würde sagen: «ausserhalb der Polis im Exil»)

Einige Jahre nach dem Rücktritt weilte ich hier im Waldhaus und eine Dame sagte mir in der Halle:

  • „Sie sind ja jünger als im Amt...“

Eine krasse Lüge, aber eine angenehme Lüge!

Und ich merkte: So habe ich ja im Amt auch gesprochen:

Nach Verhandlungen mit der EU über das Verkehrsabkommen:

  •  „Wir hatten ein sehr konstruktives Gespräch.“

 

Es gibt Lügen als Schmierfett im sozialen und politischen Getriebe. Die Schmierseife gibt es zwischen Nationen,

  • Anschlüsse NEAT aus Italien: Italiener verteidigt. Wider besseres Wissen, denn ich wollte sie nicht erzürnen.
    • Im Interesse unseres Landes und unseres Projektes des Basistunnels: Die Tür in den Verhandlungen nicht zuschlagen:

Das waren sicher gute Gründe, so wie es auch andere gute Gründe für Lügen gibt:

 

  • „Er ist im gegenseitigen Einvernehmen zurückgetreten.“ Wir wissen, da ist jemand fristlos entlassen worden. 
  • Der Arzt zur Frau des Krebskranken: „Beunruhigen Sie sich nicht, Ihr Mann wird schon gesund.“
    • Legitimation ist: Schutz der Privatsphäre von Dritten.
    • Es gibt auch die Legitimation der Notwehr:
  •  Rafael Capurro (Informationsethiker) befürwortet Lügen im Internet:

Es sei eine Pflicht, bei Alter, Wohnort und Geschlecht falsche Angaben zu machen, weil die sozialen Medien und Internetfirmen persönliche Freiheit einschränken.

Die Wahrheit dagegen kann mitunter grossen Schaden anrichten:

  • Ibsen „Die Wildente“ (Gregers Werle kehrt in eine heile Welt zurück, die aber auf einer Lebenslüge basiert. Er will seinen Freund Hjalmar mit der Wahrheit aufklären, doch damit zerstört er dessen ganzes Leben. Kostet Tochter das Leben.)
  • Was für die Familie gilt. Gilt auch für den Staat:

 

  • 1952 gab es ein Attentat auf Adenauer. Ein Polizist starb bei Explosion einer Bombe. Hinter dem Attentat stand der spätere Ministerpräsident Begin, der eine Annäherung zwischen Israel und Westdeutschland verhindern wollte. Adenauer verhinderte die Veröffentlichung dieser Wahrheit, weil er Angst um die Folgen im postnazistischen, mit Antisemitismus vollgesogenen Deutschland hatte, und weil er die Versöhnung mit Israel vorantreiben wollte. Es gab Journalisten, die das damals wussten und – im Interesse des Staates - nichts veröffentlichten.
  • Notlüge: Geiseln und Lösegeld (Nachahmer verhindern)
  • Nationalbank: Als sie im Januar die Bindung des CHF an den Euro aufgab, verteidigte sie noch zwei Tage zuvor den Mindestkurs, obwohl sie intern seit Wochen die Entbindung vorbereitete. Das war eine klare Lüge. Jordan, darauf angesprochen:
  • „Die Kommunikation eines solchen Ausstiegs ist eine sehr delikate Angelegenheit. Würde man offen kommunizieren, käme es zu spekulativen Attacken auf den Mindestkurs.“

 

Allmählich begann ich eigene Unwahrheiten in meinem früheren Beruf zu entdecken, die mir im Amt gar nicht bewusst waren:

  • Wahl Direktor SRF: „Ich habe keinen Einfluss auf seine Wahl genommen.“
  • Ich habe immerhin Anforderungsprofil so geändert, dass die Wahl auf ihn zulief.
  • Kopenhagen, Klimagipfel der UNO. Ich beschönigte dessen katastrophalen Verlauf dem CO2 Gesetz in der Schweiz zuliebe, das ich retten wollte.

Waren das Lügen? Habe ich die Wahrheit verdrängt? Wollte oder konnte ich sie nicht sehen?

Identifikation und Selbstlüge

Die Grenzen zwischen klarem Wissen und unbewusstem Verdrängen fliessen.

Die Identifikation mit dem eigenen Beruf und seinen Zielen kann blenden und zu zweifelhaften Wahrheiten führen.

  • Der mit der Privatklinik verbandelte Arzt zum Privatpatienten, der ein Knötlein am Finger entfernen muss: „Sie müssen unbedingt mindestens eine Nacht im Privatspital verbringen; es könnte sonst lebensgefährlich für Sie werden.“ Er scheint wirklich davon überzeugt zu sein.

Genauso vereinnahmt auch die politische Aufgabe einen Politiker; er identifiziert sich mit seiner Mission. Seine Überzeugung umgarnt ihn selber; er beginnt zu glauben, was er sagt. Er entflammt sich an sich selber.

Durch die Kommunikation wird die eigene Unwahrheit verbreitet, ohne dass er es bemerkt und ohne, dass er es bewusst täte.

  • Glaubten Tony Blair und Bush an Massenvernichtungsmittel oder logen sie?

(Kerry über Bush: Was er sagte, entsprach nicht der Wahrheit))

 

So entsteht eine Selbstlüge. Sie ist, sobald sie weiterverbreitet wird, eine der schlimmsten Lügen, denn sie wird mit innerer Überzeugung und mit Inbrunst verbreitet.

Daher die erste Frage:

Ist der Populist ein Lügner?

Ja,

  • wenn er gegen sein eigenes besseres Wissen behauptet, es gebe eine einfache Lösung für ein Problem (Stacheldraht um die Schweiz)
  • oder wenn er gegen eigenes Wissen, jemandem oder einer Gruppe eine Schuld zuweist.

Zweite Frage: Aber wenn er bloss seine eigene Selbsttäuschung weitervermittelt? Dann lügt er ja nicht, er glaubt, was er sagt.

  • Das ist politisch trotzdem verwerflich, weil ein Politiker die Verantwortung hat, die Folgen seines Tuns und seiner Reden zu bedenken und schärfend abzuklären, ob seine Aussagen auch einer kritischen Überprüfung standhalten. (Stacheldraht um die Schweiz ziehen)
    Ein Politiker in Verantwortung kann sich nicht mit Unwissen von seiner Verantwortung befreien.
    Plato geißelte die, die wir heute Populisten nennen, als solche
    „die sich mit schweinischem Behagen im Schmutz der Unwissenheit herumwälzen.“

Der Vorwurf an die Populisten ist nicht, dass sie allesamt Lügner sind, sondern dass sie die Folgen Ihrer Reden nicht zu Ende denken wollen, um den Verführten zu gefallen.

Mittlerweile haben sich die Zeiten nochmals geändert:

3. Wir leben in postfaktischen Zeiten

Soll ich Beispiele von Lügen nennen? Es gibt sie zuhauf.

Twitter und Trumpeten, Propaganda hüben und drüben, mit fahrlässig dahin behaupteten Sachverhalten, mit Meinungen, die sich erst gar nicht um Sachverhalte kümmern wollen, mit bewusst falschen Sachverhalten. Ich hätte Beispiele zuhauf von der SVP bis zur Unia.

(Die Brexit-Befürworter schrieben ihr zentrales Versprechen breit auf den Kampagnenbus: „Wir zahlen jede Woche 350 Millionen Pfund nach Brüssel. Lasst uns das lieber ins Gesundheitssystem stecken.“

Am Morgen nach dem Sieg sagte Ukip-Chef Nigel Farage, die Zahlen seien «ein Fehler» gewesen.

Obama habe das Telefon von Trump abgehört. Auch das erwies sich als eine klare Lüge.

In den USA wurden nach den ersten 100 Tagen des Präsidenten Trump 133 Lügen gezählt.  Das war ja schon Wahlkampf so:

  • dass er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Tausende Muslime in New Jersey habe feiern sehen,
  • dass er seine Steuererklärung bald veröffentlichen werde.
  • In der Schweiz sagte der Asylverantwortliche der SVP, es seien Rentner wegen Asylbewerbern aus dem eigenen Haus geworfen worden. Als die Lüge aufgedeckt wurde, reagierte er:
  • „Ist doch nicht so schlimm, das war eben eine Falschinformation.“
  • In der Abstimmung zu Energiestrategie 2050 behauptete C.B., es gebe ganz neu sichere Atomkraftwerke ohne Atommüll, die jetzt soeben in Schweden gebaut würden.

Will die Zeit gar nicht mit Aufzählung von Beispielen vergeuden. Die Allgegenwart permanenter Lügen ist zur Wahrheit geworden.

 

Die Gewöhnung an die Lüge beginnt schleichend und harmlos:

  • Es gebe in Schulklassen ein Cervelatverbot wegen Muslimen. (A. Glarner).

 

Eine Übertreibung, eine lustige Lüge?

Es folgt eine krassere Provokation:

  • Simonetta Sommaruga habe Rentner zugunsten Flüchtlingen aus dem eigenen Haus werfen lassen.

Wir gewöhnen uns an politische Lügen. Wir finden sie schon fast herzig, wie die Lügen der Werbung. Wir lachen zunächst ,wenn wir hören, wie auch unsere Staatsunternehmen in die Werbung flüchten, wenn sie ihre Versprechen nicht halten können:

  • «Geniessen Sie köstliche Speisen im SBB Bistro» oder
  • «Wir nahmen Ihre Anliegen ernst, bleiben Sie in der Telefonschlaufe.» Und die Gebühren summieren sich....
  • Doch auch bei Ihnen wachsen blosse Übertreibungen zur krassen Lüge:
  • Swiss: Hat sehr niedriges Ranking, weil sie annullierten Flügen, die Passagiere systematisch von Entschädigungen fernhält.

Dazu die Mediensprecherin. In 10 vor 10: «Wir prüfen jeden einzelnen Fall.»

Das ist nichts anderes als eine krasse Lüge!

Gemeinsam ist den Beispielen, dass Wunschdenken an Stelle von Taten tritt.

Wir leben in eine Welt, in der die Lüge zur Norm wurde. Das wurde schon früher festgestellt und Sie kennen die Fragen dazu ja bestens:

  • «Haben wir somit die wahre Welt abgeschafft?»
  • «Haben wir mit der wahren Welt auch die scheinbare abgeschafft?»
  • «Ist die wahre Welt unerreichbar und unbeweisbar geworden?»
  • «Die wahre Welt – eine Idee, die zu nichts mehr nütz ist? Sollen wir sie abschaffen?»
  • Sie kennen aber auch die anschliessende Hoffnung:
  • «Oder bleibt sie .... eine Verpflichtung, ein Imperativ, sie (die wahre Welt) zu versuchen?»

Weil ich nicht dem Zynismus verfallen bin und weil ich die Aufgabe der Politik in der Gestaltung einer nachhaltigen und solidarischen Gesellschaft begreife, hege ich diese Hoffnung ebenfalls und vertrete den Imperativ der Wahrheit.

B. Wie können wir uns der politischen Wahrheit nähern?

4. Trennung von Sachverhalt und Würdigung

Begriff der Lüge:

Bewusste Äusserung der Unwahrheit, um andere zu täuschen.

Zusätzlich gibt es den fahrlässigen Umgang mit der Wahrheit, wobei die Sorgfaltspflicht für Politiker dem Umfang ihrer Verantwortung entsprechen muss.

Zwei Tendenzen im gesellschaftlichen und demokratischen Diskurs:

  • Die Vermengung von Meinung und Sachverhalt
  • Die Verlagerung auf Meinung und die Vernachlässigung der Fakten
  • In den USA gibt es Fox News und Hunderte von Radio- und Blog-Satelliten, die keine Fakten ausstrahlen, sondern nur Meinungen, zu den Arbeitslosenzahlen, zur Erderwärmung, zu Evolution.

Obama sagte: Er würde sich auch nicht wählen, wenn er vor einem Foxbildschirm sässe.

  • Das zeigt sich auch im Umbau der noch vorhandenen Tageszeitungen:
  • Es ist eine erklärte Strategie, auch sehr renommierter Medien, Kolumnen mit Meinungen auszubauen zulasten von Recherchen über Sachverhalte (ausdrücklich im TA seit 9. Juli 2018). Das hat in erster Linie ökonomische Gründe. Meinungen sind billiger als Fakten.
  • Erst recht dreht sich diese Spirale in den sozialen Medien.

Ein erster Schritt ist die Trennung von Sachverhalt und Meinung, 

eine Errungenschaft, die erlaubt, Differenzen zu versachlichen.

Es könnten sich gesellschaftliche Gegenspieler (Rechte und Linke, Rote und Blaue, oder was auch immer) aufgrund von Fakten, über die sie sich einigen, nähern.

Doch es scheint, dass sich Gegner nur noch je in der eigenen Realität bewegen wollen und deshalb nur noch auf Meinungen beschränken:

«Das ist meine Meinung!» kennen wir als Verweigerung, über Fakten zu diskutieren.

Fakten können objektiv umschrieben werden. Wir können uns der Wahrheit zumindest nähern.

  • Erde ist rund (beendete Behauptung, Rom sei Mittelpunkt des Universums)
  • Anzahl Besucher bei Inauguration des USA Präsidenten können ja gezählt oder geschätzt werden.
  • Zugegeben, das kann kompliziert werden, denn Daten und Fakten sind nicht dasselbe: In Daten können wir ertrinken, wenn wir sie nicht ordnen. Tatsachen sind das Ergebnis einer geregelten Untersuchung.:
  • Klimaerwärmung (Klimalüge).

Die Trennung gibt es in verschiedenen Disziplinen:

  • Rechtsprechung: Sachverhalt und Würdigung  (nicht immer einfach)
  • Früher im Journalismus: Klassische Trennung zwischen Meinung und Sachverhalt, zwischen Berichterstattung Kommentar.
  • Sie wird heute vorsätzlich aufgehoben.

Erst diese Trennung erlaubt eine Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge.

Sie verhindert Lügen natürlich nicht, kann sie aber entlarven.

Da die politische Auseinandersetzung nicht jenseits von Gut und Böse stattfindet, bleibt also die Frage nach der Berechtigung der Lüge. Es gibt Lügen, die akzeptieren wir und Lügen, die wir als verwerflich ansehen. Gibt es eine Moral der Lüge?

5. Zur Moral der Lüge

Thomas von Aquin, hielt in einer Absolutheit sondergleichen fest:

  • Jede Lüge ist eine Sünde!

Plato war da viel unverkrampfter:

  • Er vertrat eine gute Politik.
  • Was ist das? Good governement wollen alle, auch die FIFA.
  • Plato meinte, gute Politik ist für etwas gut, sie ist nützlich.

Für den Staat nützlich, nicht für den einzelnen Politiker.

  • Es geht nicht, wie im Christentum, um das Gute als Gegensatz zum Bösen, sondern um ein nützliches Gutes.

Auch Machiavelli

  • hat den guten Zweck im Interesse des Staates über die Moral gestellt.
  • Es sind diejenigen Mittel die besten, welche für den Staat den gewünschten Erfolg sichern

(und da ist die Lüge noch das Harmloseste; er billigt auch Gesetzesbruch und Grausamkeit).

Max Weber trennte in Gesinnungs- und Verantwortungsethik:

Wer in Verantwortung des Staates steht, kann gar nicht der Bergpredigt folgen.

„Du sollst nicht töten“, „Liebe deinen Feind wie dich selber“:

Das kann ein Regierungsmitglied gar nicht umsetzen.

 Im Interesse des Staates muss es bestrafen, eine Armee mit Waffen ausstatten.

(und das ist dann auch gleich die Legitimation, Waffen in Kriegsgebiete zu exportieren)

Im Interesse des Staates muss die Regierung Verhandlungen mit anderen Staaten führen, welche die Verhandlungsstrategie nicht kennen dürfen.

Folglich ist seine Rede gegenüber den Medien und den Stimmbürgern nicht immer «Ja, Ja - Nein, Nein.»

Die wahre Welt bleibt in der Politik also unerreichbar.

Jedenfalls unerreicht.

Die Lüge und das Unterdrücken der ganzen Wahrheit ist gang und gäbe.

Wir akzeptieren gewisse Lügen. Andere können wir nicht tolerieren.

6. Welche Kriterien? Die Nützlichkeit für den Staat?

Darf gelogen werden, wenn es dem Staat nützt?

Ich habe zwei Einwände:

  • Wenn die Nützlichkeit für den Staat die Lüge sein darf, müssen wir sie auch in der Wirtschaft und im Privatleben akzeptieren:
    • Der Staat hat das Monopol, eine Gesellschaft zu lenken, längst verloren.
    • Wenn er lügen dürfte, nur um sich selber zu nützen, dürfte dies die Privatwirtschaft und jeder einzelne Mensch auch.
    • Er dürfte sich so jeden Vorteil erschaffen kann.
    • Auch wenn sich heute globale Unternehmen (VW, Google, Swiss) dieses Recht ungehemmt nehmen, so ist es doch gesetzlich nicht gedeckt und Nationalstaaten, die EU oder NGOs versuchen, sich dagegen zu wehren.
  • Was nützt denn dem Staat?
    • Was nützlich ist und was nicht ist ja gerade Gegenstand des politischen Diskurses. Damit ist auch die Legitimation der politischen Lüge diesem Diskurs unterworfen.

Die Nützlichkeit scheint mir also kein taugliches Kriterium zu sein.

7. Das Vertrauen als Kriterium

Um den Paten Ihres Kongresses noch einmal zu zitieren: 

 

„Nicht dass du mich belogst, sondern dass ich dir nicht mehr glaube, hat mich erschüttert.“

Eine nachhaltige Gemeinschaft fusst auf Vertrauen.

Ohne Vertrauen können die Menschen nicht miteinander leben.

Ein demokratischer Staat organisiert deshalb das Vertrauen unter den Bürgern:

  • Treu und Glauben im Zivilrecht,
  • Treu und Glauben im öffentlichen Recht (Fall Polanski),
  • Bestrafung der Arglist und des Betruges, also eines Lügengebäudes zum Nachteil eines anderen.

Die systematische Lüge zerstört das Vertrauen.

Im privaten Leben:

  • Weihnachtskindlibeweis meiner Mutter

Folge: auch mein Glaube an den Heiligen Geist als Vater des Jesuskindleins wurde etwas erschüttert.

 

In der Wirtschaft:

  • VW: Das Vertrauen in Werkangaben über Benzinverbrauch oder CO2 Ausstoss dahin.
  • Im Internet werden wir von Klick zu Klick übertölpelt:
  • Flugtickets bestellen: 25 Leute sehen diesen Flug auch gerade an, nur noch drei Plätze frei, nachher sitzen wir in einem halbleeren Flugzeug.

 

In der Politik:

  • Einem Regime, das ständig lügt, glaubt man nichts.
  • Kommunismus ( Begriff „Demokratie“ empfand Havel als Lüge, weil das kommunistische Regime das Wort missbrauchte)

 

Der Umgang mit Wahrheit und Unwahrheit muss dem Vertrauen dienen und darf es nicht zerstören.

Erfordert das Vertrauen vollständige Aufklärung?

  • Das Beispiel von Konrad Adenauer:

War seine Vertuschung der Wahrheit richtig oder falsch?

Es gibt heute Journalisten, die dazu sagen: Ich würde es heute nicht mitmachen, diese Tatsache zu verschweigen; aber ich anerkenne, dass es gute Gründe gab, es damals zu tun.

 

Wenn ein Politiker in einer späteren Situation den Medien, den Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, einer Untersuchungskommission begründen kann, dass es dem Vertrauen gedient hatte, was er damals verschwieg, wird seine Unwahrheit als legitim anerkannt.

Jeder Einzelfall ist in den jeweiligen Umständen der Zeit zu beurteilen und er misst sich am Zusammenleben der Menschen, am gegenseitigen Vertrauen.

***

Und die absolute, die einzige Wahrheit?

Wenn jeder und jede sie für sich pachten darf, führt das zu Streit, Terror und Krieg.

Vielleicht liegt ja die Bedeutung des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse in der traurigen Einsicht über das menschliche Verhalten. Und das Verbot, seinen Apfel zu pflücken, hat darin seinen wahrhaftigen Grund.

Halten wir es also mit Lessings Nathan dem Weisen:

„Jeder sage, was ihm Wahrheit dünkt, und die Wahrheit selbst ... ( sei Gott empfohlen.“)

....die Wahrheit selbst? Wo ist sie?

Sie liegt in Sils Maria! Unten am See. Ein Mann mit einem grossen schwarzen Schnauz hat sie entdeckt und berichtete:

«Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.

Da, plötzlich, Freundin! wurde Eins zu Zwei -

- Und Zarathustra ging an mir vorbei ...»