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Eine Rede über die Rede


Speakers Evening

Winterthur, 27. Oktober 2014

Moritz Leuenberger

 

Wir feiern heute eine Stabsübergabe. Da wird nicht immer gejubelt.

Der Stab kann gleich zu Beginn aus der Hand gleiten. Einem Schweizer Frauenteam ist das kürzlich im Letzigrund geschehen und das setzte Tränen ab. Aber wir sind ja nicht in einem Stadion, sondern in der Volkart Villa in Winterthur und im Team hat es auch Männer.

Keine Gefahr also, dass der Stab zu Boden fällt. Ich habe es selber erfahren: Während einer Übergabezeit von mehr als einem Monat durfte ich mich als Stafettenstab fühlen: im festen Griff von zwei Händen, die klar und zielsicher bedeuteten, wo es durchgeht. Ich liess mich ganz gern führen. Auch hierher.

Die Läuferinnen haben mich mit einem Monolog beauftragt, weil ein solcher jedem Politiker in den Genen liegt.

 

Drei Erinnerungen zu Reden melden sich mir aus meiner Jugend:

-       Zuerst Cicero in den Lateinstunden! Humanistische Bildung! Wiege der Klassik! Im real existierenden Unterricht von damals gelang es in einer Lektion im Maximum, einen einzigen Satz von Cicero zu übersetzen. Die Nebensätze bequemte er nicht einmal mit Kommata zu trennen, die Wörter waren wild und ohne erkennbaren Satzaufbau verteilt. Den Sinn eines solchen Satzes zu verstehen, wurde meist auf die nächste Unterrichtsstunde vertagt. So zerlegten wir aus einer Rede von Cicero innerhalb eines Quartals höchstens drei bis vier Sätze, weil wir ja hauptsächlich Grammatik büffeln mussten. Zu einer ganzen Rede brachten wir es nie, geschweige denn zum Sinn und zur Bedeutung einer Rede. Das wurde alles auf „nach der Matur“ verschoben und dann kam Anderes.

-       1963, Kennedy an der Berliner Mauer: Auch da verstand ich nicht alles.

  • Dass der berühmte Schluss: „Ich bin ein Berliner“ eine Anlehnung auf „civis romanus sum“ war, nämlich auf die Doppelbedeutung von Staatsbürgerschaft und Weltbürgertum, wie sie Kaiser Marc Aurel vertrat, habe ich damals nicht verstanden.

Dennoch beeindruckte und prägte mich die Rede.

  • Der formale Aufbau, der die Thesen von Sympathisanten des Kommunismus’ aufnimmt,
    • „Es gibt Leute, die sagen über den Kommunismus....“

und dann die stets gleiche Antwort enthält:

  •  „Lasst sie nach Berlin kommen.“

hat mich nachhaltig fasziniert. Allein dieser Aufbau birgt das Geheimnis einer guten Rede:

  • Die Variationen dieses Satzes stellen
    • inhaltlich einen fiktiven Dialog dar und
    • die Repetition wirkt als formales Stilmittel ähnlich einem musikalischen Rhythmus oder einem Gedicht.

Ich habe das damals nicht analysiert oder theoretisch durchdrungen, aber ich bin der suggestiven Wirkung dieser beiden Elemente erlegen und habe mich später oft ertappt, dieses repetitive Stilmittel übernommen zu haben.

-       1968, Alexander Dubcek:  Er lispelte leicht und er stotterte beinahe. Jeder Satz schien eine Zangengeburt. Im Gegensatz zu Demosthenes, der mit einem Stein unter der Zunge gegen das Meeresrauschen ankämpfte, um eine klare und vernehmliche Stimme zu erreichen, störte das Dubcek nicht und auch seine Zuhörer nicht: Sie hingen alle an seinen Lippen, die Bürger der Tschechoslowakei ohnehin, aber auch wir, die wir an einen humanen Sozialismus, an einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus glaubten. Dubceks Redeweise ist für mich der Beweis, wie sekundär der rhetorische Stil und wie wichtig Authentizität ist. Sie allein macht die Glaubwürdigkeit aus.

 

Das Primat einer Rede ist ihr Inhalt. Dubcek dient mir immer als Trost an alle, die meinen, sie müssten souveräne Gesten beherrschen und geschliffene Wendungen lernen wie: „Bevor ich jetzt zum Schluss komme, danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“

 

Die Rede ist eine Inszenierung

 

Trotz dieses Primats: Die Rede lebt vom Inhalt und von der Form.

Wie ein Theater ist auch die Rede eine Inszenierung in einem räumlichen und zeitlichen Rahmen.

Innert einer begrenzten Zeit wird ein Anliegen vertreten, eine Geschichte erzählt oder ein Sachverhalt verständlich erklärt.

 

Was im Theater die Bühne, ist für den Redner meist nur das Rednerpult oder  - noch enger - der Platz vor der TV Kamera, allenfalls ergänzt von einem Tele-Prompter.

 

Die Zeit einer Rede ist begrenzt. Im TV beträgt sie nur wenige Minuten. Um politische Botschaften wirksam zu vertreten, üben wir alle kurze, schnittige Sätze, auf dass sie nicht von andern geschnitten werden.

Bei einer Veranstaltung, die von Speakers organisiert wird, wird die Zeit exakt ausgehandelt und vertraglich festgehalten und dann immer überschritten.

 

Heute dauert eine Rede nicht vier Stunden wie zu Zeiten Ciceros oder bei Castro.

 

Die Rede ist nicht mehr die wesentliche Kommunikationsform. Sie wird konkurriert von der Gesamtheit heutiger Kommunikationsmittel, von Radio, Fernsehen und den social medias. Wie bei jedem Wettbewerb rezipiert auch die Rede ihre Konkurrenten, so deren technischen Hilfsmittel,

-       das Mikrophon, das auch Schmalbrüstigen eine Chance gibt,

-       Moderatoren, Entertainer nutzen Headsets, um die ganze Bühne auf- und abzuschreiten;

(auch echte Philosophen tun das so, weil sie ihre Erkenntnisse immer gerade während des Redens gewinnen und das Publikum total spontan an diesem Suchen und Finden teilhaben lassen.)

-       die Grossleinwand für weit entfernte Zuhörer, (der Kopf eines CEO ist dann auf der Leinwand als riesiges Ungetüm zu sehen. Blow up, also irgendwie wie aufgeblasen. Man will die Vergrösserung jetzt auf ein Verhältnis von 1 : 12 begrenzen.)

Die Sprache der Rede hat sich angepasst, sie nutzt kurze oder elliptische Sätzen.

Inhaltlich wird, wie im Theater, auch in einer Rede dramatisiert, zugespitzt, wir bedienen uns de Symbolik.

 

Eine Rede ist keine Vorlesung, in der kunstvolle Sätze ab Blatt gelesen werden.

Wie Architektur und Design lebt die Rede von der Interaktion zwischen

form and function.

 

Wer folgt wem?

 

Natürlich schwören wir alle dem Primat des Inhaltes. Doch die Versuchung, der Form den Vorrang einzuräumen, ist gross:

-       Das gilt für die Redner selber, die stets versucht sind,

  • anbiedernde Lacher zu holen, sich stets gegen den inneren Populisten wehren müssen,
  • oder die sich äusseren Hilfsmittel wie kleinen Filmchen, Karikaturen, Fotos oder Powerpoint unterordnen (wenn man nicht weiss, was man eigentlich sagen will, ist das sicher hilfreich).
    • (Ein grosses Schweizer Unternehmen kürzlich: „Wir haben eine neue Strategie; sie besteht darin, dass sie nicht in Powerpoint präsentiert wird.“)
    • Heute findet sich im Tagesanzeiger ein Beitrag über Konkurrenzangebote zu Powerpoint: Sway und Pechakucha (Jede Präsentation dauert dort exakt 6 Minuten und 40 Sekunden.

-       Auch die Veranstalter sind zuweilen an der Form mehr interessiert als an einem Inhalt: Wir kennen alle Anfragen für eine Rede wie: „Wir wollen unsere Versammlung noch mit einer gepfefferten Rede auflockern. Sie haben carte blanche und dürfen sagen, was Sie wollen.“ Die Rede und der Redner als Unterhaltungsbeitrag einer Veranstaltung.

 

 

Auch ihre Einladung zum heutigen Event gestalteten die Stafettenläuferinnen nach einer Form, nämlich der Reihenfolge, die sich an jedem Kongress etabliert hat:

Prolog - Monolog – Epilog – Apéro prolongé.

 

Die Rede als Dialog

 

Inhaltlich habe ich da meine Zweifel: Meiner Meinung nach sollte eine Rede kein Monolog sein, sondern ein Dialog.

Denn ich finde eine gute Rede sei keine Vorlesung, keine Überredung und auch nicht eine gegenseitige Beweihräucherung von Publikum und Redner, also kein Populismus, sondern ein Gespräch.

Sie nimmt die Gegenmeinung auf und ermöglicht, dass sich verschiedene Meinungen begegnen.

-       Das beginnt vor der Rede: Sich vorbereiten und hineindenken in das Publikum. So wechselt, wer eine Rede vorbereitet, den Blickwinkel, um jene Wahrheit, welche in fast jedem Gegenargument steckt, in seine Formulierungen einzubeziehen. (Es ist daher von Vorteil, wenn ein Redeentwurf vorher diskutiert werden kann; geht seit Rücktritt nicht mehr.) Der Redner muss die Zuhörer also kennen, soweit das geht, mindestens sollte er wissen, an welchem Ort er sich gerade befindet und er soll darauf Bezug nehmen.

 

  • Ich habe einmal Elton John in Mexico gehört, der mit einem Helikopter anflog und sich während des ganzen Konzertes um keinen einzigen Bezug zum Ort seines Auftrittes, einer heiligen Stätte mit alten Pyramiden, bemühte. Demgegenüber erlebte ich  Stephan Eicher bei einem Konzert in Zürich. Nicht nur, dass er vor jedem Lied direkt zum anwesenden Publikum sprach, sondern er änderte Dominique Grandjeans Campari Soda so ab, dass der Pilot über das aktuelle Konzert flog und durch das Mikrophon die Veranstaltung erwähnte. Elton John ignoriert sein Publikum. Stephan Eicher zeigt, dass er es liebt.

Reden, die wortwörtlich wiederholt werden, gehen auch nicht au die jeweiligen Publika ein. Sie wirken herzlos und steril.

 

  • Ich erlebte zufälligerweise zwei Reden Al Gore, wo sich jede kleinste Geste bis ins Detail wiederholte. Seine Botschaft verblasste zur Schablone.

 

 

-       Der Dialog geht während der Rede weiter: Auf Zwischenrufe reagieren wir, auf Stirnrunzeln schieben wir eine Erklärung ein. Wenn einer den Kopf schüttelt, kann man ihn liebevoll fragen, was er denn da mit seinem Kopf mache.

-       Und: Das setzt sich nach der Rede fort:

  • Gespräche beim Apéro prolongé.
  • Spätere Briefwechsel zeigen dem Redner, wenn er sich missverständlich ausgedrückt hat oder er lernt einen anderen Blickwinkel kenn, den er akzeptieren muss.

 

Eine gute Rede soll keine Manipulation sein, darf also die Zuhörer nicht mit falschen Tatsachen oder Unterlassungen zu einer Haltung führen, die er bei Kenntnis der Wahrheit nicht einnehmen würde.

Darum hat Speakers in den ethischen Leitlinien festgehalten, keine Populisten anzustellen.

Aber eine Rede ist immer eine Verführung. Wir wollen ja die eigene Überzeugung verbreiten und dazu bedienen wir uns der zwischenmenschlichen Einflussformen, der Suggestion, des Humors, der Ironie.

Doch Grundlage all dieser Stilmittel ist die Grundüberzeugung, der inhaltliche Kern, die eigenen Gedanken.

 

Die eigenen Gedanken in Worte zu fassen, ist schwierig. Oft werden sie uns erst klar, wenn wir sie in konkrete Worte fassen müssen. Erst dann merken wir, wie diffus unsere Vorstellung ist, von der wir soeben noch glaubten, sie gedanklich klar erfasst zu haben.

 

-       Zum Vergleich: Sie hören eine Symphonie am Radio, wissen nicht, welch sie war und wollen sie dann im CD Laden beschreiben oder vorsingen....

 

Während der Formulierung unserer anfänglich so klaren Gedanken, merken wir oft auch, dass sie gar nicht richtig sind und wir korrigieren sie.

 

-       Kleist: „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden„

 

Der Dank solcher Zangengeburten besteht dann in der Reaktion, die wir immer wieder hören dürfen: „Sie sagten, was ich denke, aber was ich nicht sagen kann.“

 

Eine Rede ist die Begegnung von Menschen und erfordert Zeit

 

Um einen komplizierten Sachverhalt darzulegen, um einen Gedanken zu entwickeln, ihn zu diskutieren, brauchen wir Zeit, die Zeit, die Menschen brauchen, wenn sie sich einander mitteilen, wenn sie sich begreifen wollen.

In der Kürze liegt die Würze, sagt man. Aber keine Nahrung besteht nur aus Würze. Deswegen erfordert eine Rede längere Zeit als ein Statement oder ein geschnittenes Interview.

 

Eine Rede ist ein Gespräch und ein Gespräch braucht Zeit. Der Redner bereitet sich auf das Publikum vor, setzt sich mit allfälligen Einwänden gegen seinen Standpunkt auseinander, nimmt sie auf, wägt sie ab, zeigt und diskutiert sie in der Rede.

Eine Rede ist nicht nur eine Begegnung von Meinungen, sondern auch von Menschen.

-       Der Redner geht zum Publikum, zu einer gegnerischen Partei, zu einem ländlichen Anlass, an ein Schwingfest oder er spricht zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

-       Die Zuhörer und Zuhörerinnen kommen zur Rede, wie sie auch zum Konzert oder in ein Theaterstück gehen. Sie könnten ja das Theaterstück auch in einem Reclambändlein lesen.

 

Aber sie kämen so nicht nur um die Inszenierung, sondern auch um den gesellschaftlichen Anlass. Dieser ist auch ein Wesenselement einer Rede. Über eine Rede kann zwar ein Medium berichten, doch kein Ausschnitt, keine Zusammenfassung, nicht einmal der vollständige schriftliche Abdruck wird der Rede gerecht, so wenig wie drei Sekunden aus einer Theateraufführung dem Werk gerecht werden. Der wichtigste Unterschied besteht aber darin, dass Gemeinsamkeit und Gemeinschaft geschaffen wird.

Im Gegensatz zum Theater gibt es allerdings keine Hauptprobe. Erst nach der Rede merken wir, wo wir hätten umstellen müssen oder welche Formulierungen missverständlich waren. Umgekehrt genießen die Zuhörer immer eine einmalige Premiere. Die Rede richtet sich ausschliesslich an das anwesende Publikum. Nur es bekommt den ganzen Gedankengang vorgetragen.

Dieses Element der direkten Begegnung von Menschen zeichnet die Rede als ein viel sozialeres Kommunikationsmittel aus als es so genannte social Medias sind, wo aus unbekannten Tiefen und unter dem Schutz der Anonymität direkt ins Internet gespuckt wird.

 

Danken wir also jenen, die solche Begegnungen des Dialogs organisieren.

Eine Organisation, die sich als Hauptzweck der Rede und der Moderation widmet, leistet einen Beitrag zum Dialog statt der vorherrschenden Konfrontation. Friede statt Streit! Eine solche Organisation muss, da sind wir uns alle sicher, über kurz oder lang zum Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden.

Wir alle hier sind stolz darauf, zu dieser Frieden stiftenden Organisation gehören zu dürfen. Wir werden helfen, den Stab, der in einer Woche vom Team Nägler / Kauffungen endgültig losgelassen und von Esther Girsberger ohne Ende weiter getragen wird, als eine leuchtende Fackel im Namen von Speakers immerdar durch die finstere Welt zu tragen.