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Leuchttürme statt Barometer


Text erschienen in der NZZ vom 23. September 2009

Für mich als Schüler hiess das Rezept gegen Informationshunger und Wissensdurst „drei Mal täglich die NZZ". So oft erschien sie damals pro Tag und berichtete über nah und fern. Heute bestätigt sie mir noch einmal morgens, was ich tags zuvor schon online, am TV und am Radio erfahren habe? Selbstverständlich bietet sie mehr als das. Würde sich eine Zeitung tatsächlich aufs Repetieren von News beschränken, erschiene sie überhaupt nicht mehr.

Kampf auf Aufmerksamkeit

Die Strukturen im Zeitungswesen haben sich seit damals gründlich gewandelt, und sie werden sich weiter wandeln. Zeitungen lösten sich von politischen Parteien oder Kirchen, zu denen sie einst gehörten, wurden zu publizistischen Unternehmen, ausgesetzt den Höhenflügen und Krisen der Märkte. Dem Inseratemarkt steht der Publikumsmarkt gegenüber, auf dem die Zeitungen sich im Kampf um die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser und gegen die neuen Medien, Radio, TV, Gratiszeitungen und das Internet, behaupten müssen. Neue Medien haben die bisherigen nie zum Verschwinden gebracht, doch sie haben sie verändert. Die bisherigen taten immer gut daran, die Veränderung selber aktiv zu gestalten, statt sich in überhastete Reaktionen drängen zu lassen.

 

 

Was ist die Qualität einer Zeitung? Leser und Journalistin, Inserent und Verleger, Stimmbürgerin und Berufspolitiker haben verschiedene Antworten und innerhalb jeder dieser Gruppen klaffen die Erwartungen an die Zeitung nochmals weit auseinander.

Für mich als Staatsbürger steht ihre Funktion in der direkten Demokratie im Vordergrund.

Die demokratische Auseinandersetzung spielt sich vor allem in den Medien ab, nicht mehr nur am Stammtisch oder in der Landsgemeinde. Radio, Fernsehen und Zeitungen sind nicht nur Vermittler, sondern mischen sich als Akteure ein, setzen Themen und hinterfragen politische Äusserungen und Entwicklungen kritisch. Das ist anspruchsvoll und verlangt professionellen Journalismus, der argumentativ vertieft und die Welt nicht bloss in das Zeitfenster einiger Minuten presst.

Dieser Professionalismus bedingt zunächst wirtschaftliche Stärke. Kleine Blätter übernehmen zum Teil unkritisch die Medienmitteilungen aus der Verwaltung oder von Unternehmen oder sie gestalten ihren Zeitungsinhalt in erster Linie aus Agenturmeldungen. Eine Vielzahl an Zeitungen gewährt nur vordergründig inhaltliche Vielfalt. Daher sollten Konzentrationsprozesse nicht nur negativ bewertet werden. Sie ermöglichen oft erst die strukturellen Voraussetzungen für Qualitätsjournalismus. Zeitungen sind jedoch nicht nur ein Vehikel, das den Verlagen zu wirtschaftlichem Erfolg verhilft. Hat die Publikation einer Zeitung ausschliesslich wirtschaftliche Ziele, benötigt sie keine Pressefreiheit in der Verfassung; sie nimmt ja auch keine entsprechende Verantwortung wahr. Die Medienfreiheit wurde verankert, weil die Zeitungen eine zentrale Rolle für demokratische Prozesse und die politische Meinungs- und Willensbildung spielen.

Demokratie braucht Widerspruch

Wohl lebt die Demokratie auch von Emotionen, zuweilen von Empörung, aber ihr Rückgrat ist das Argument, die Kraft der Aufklärung. Hier haben die klassischen Zeitungen ihre Stärken. Auf diese sollten sie sich besinnen, statt sich im Wettlauf um die neuesten News und die geilsten Gerüchte aufzureiben. Das Rennen gegen die elektronischen Medien und das Internet können sie nie gewinnen. Zeitungen haben dafür etwas mehr Zeit, nämlich bis Redaktionsschluss, und in dieser Zeit können sie vertiefen und differenzieren - und für einen Qualitätsunterschied sorgen.

In Zeiten des Internets mit seiner ständigen Verfügbarkeit und seinem unübersichtlichen Meer an Informationen braucht es stabile Leuchttürme der Glaubwürdigkeit, die dem Zeitgeist widerstehen und Orientierung bieten.

Das heisst nicht, dass sich die Zeitung stets nach der jeweiligen Mehrheitsposition der Leser richten und diese ständig in Umfragen und Sorgenbarometern eruieren müsste. Sie verlöre so den eigenen Standpunkt und damit die Glaubwürdigkeit gegenüber dem Leser. Ein Leuchtturm ist ja selten das Ziel des Seefahrers, sondern hilft ihm, die eigene Position zu erkennen, um Ziel und Fahrtrichtung selbständig zu wählen. Diese Fahrtrichtung ist für den Staatsbürger nicht einfach der Mainstream, durch den ihn die Zeitung wie ein Schleppkahn zieht. Demokratie lebt nicht vom gefälligen Strom abgeschliffener Mehrheitsquoten. Die Demokratie braucht Widerspruch und Differenz, sie entwickelt sich nur durch die Begegnung mit Neuem, Ungewohntem, mit fremden Denkweisen und anderen Perspektiven weiter. Sie ist daher auf Medien angewiesen, die irritieren und herausfordern und nicht nur darstellen, was gerade gefällt.

Quotendenken engt die journalistische Optik ein und verschliesst sich neuen Entwicklungen. Es beängstigt die Vorstellung, dass nur noch diejenigen Artikel in die Zeitung aufgenommen werden, welche tags zuvor auf der Website des Medienhauses am häufigsten angeklickt wurden.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Journalisten ist, zu entscheiden, welche Themata von politischer und gesellschaftlicher Relevanz sind. So gestalten sie das politische Forum mit, in welchem die Demokratie lebt. Diese Arbeit schafft die Marke einer Zeitung.

Die Qualität von Informationen und Themenauswahl ist für die Konsumenten oft nicht transparent. Sie vertrauen ihrer Zeitung dann, wenn dahinter eine Institution oder eine Marke steht, die solches Vertrauen rechtfertigt. Für diese Qualität steht der Leser auch ein, selbst wenn er den Standpunkt der Zeitung nicht teilt. Eine gute Zeitung verzichtet darauf, sich allzu sehr an den Erwartungen und Sorgen der Leserinnen und Leser zu orientieren - denn nicht Anbiederei, sondern kritische Unabhängigkeit schafft Vertrauen und damit Treue.