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Laudatio für Adolf Ogi


Laudatio für Adolf Ogi
Zum Erhalt des Erich Walser Preises 2016
Moritz Leuenberger
29. August 2016

 

Ein Lob der Stifterin!

Der Preisträger soll sich noch einen Moment gedulden.

Gewiss, man könnte Stifterin und Preisträger subito miteinander vereinen, denn das innige Liebesverhältnis zwischen Helvetia und Ogi ist ein offenes Geheimnis. Landesmutter liebt Landesvater.

Mancher ist da etwas eifersüchtig.

Doch dass dieses alte Paar heute erneut in Liebe entflammt, wurzelt in einer Tat der Stifterin, die ihrerseits eine Würdigung verdient.  

Ihr Preis ehrt Verdienste zugunsten kommender Generationen. Dieser elementare Grundsatz verdient es, immer wieder in Erinnerung gerufen zu werden. Der Preis will der Mentalität „Après nous la déluge!“ entgegentreten. Was die politisch einflussreiche Freundin des Königs, Frau Pompadour, damals offen und zynisch aussprach, wird heute von vielen gelebt. Statt mit Mut die Zukunft zu gestalten, ballen viele die Faust im Sack und zelebrieren das auch noch auf dem Stimmzettel. „Nein!“, „exit!“ und „Kündigung“ wird wütend gerufen und am Ende gar beschlossen.

Wir wollen uns gerade deshalb in Erinnerung rufen:

Die Menschen bilden eine Gemeinschaft von Generationen, in der jede für die andere verantwortlich ist. Auch wir verdanken unser Leben den Vorfahren.

Cicero schrieb: „Es ist verbrecherisch zu sagen, nach unserem Tode möge doch der Weltbrand über alle Länder hereinbrechen. Aus dieser Erkenntnis folgt die Verpflichtung, für künftige Generationen, um ihrer selbst willen vorsorgen müssen.“

Gewiss, solche Worte hören wir auch heute, an Klimakonferenzen zum Beispiel, doch die Taten folgen kaum. Auch Schwarzenegger rief zu Taten auf: „Action, action!“ Doch was folgte? Ein Kind mit der Magd.

Unser kurzes Leben nach einer Erdgeschichte von Milliarden Jahren ist ein Privileg, das uns verpflichtet, die Erde so weiterzugeben, wie wir sie übernahmen, und zu ermöglichen, hier ein Leben zu führen, wie wir es für uns in Anspruch nehmen.

Dass dies mit einem Preis regelmässig in Erinnerung gerufen wird, verdient ein Lob.

 

Ein Lob aber auch dem Preisgericht!

Es hat einen Politiker für den Preis gekürt.

Gewiss, Cicero war auch Politiker, doch er hat sich auch ganz grundsätzliche Gedanken gemacht und würde heute bestenfalls als Schönredner und als Philosoph durchgehen. Der politische Zukunftshorizont beschränkt sich oft auf die Schlagzeilen des nächsten Tages, wenn es weit geht, auf die nächsten Wahlen.

Das Preisgericht hat den Politiker Adolf Ogi erkoren und ich beglückwünsche es dazu.

 

Daher, endlich: Ein Lob dem Preisträger!

Adolf Ogi hat immer wieder die Solidarität mit künftigen Generationen mit Überzeugung gelebt:

  • Er setzte sich für die Vision NEAT ein. Er hat die Begeisterung in der Schweiz für dieses Jahrhundertprojekt geweckt (und nur beim damaligen Finanzminister ist es nicht immer gelungen).
  • Er hat die Energiewende früh angestossen mit der Aufforderung zur Energieeffizienz, was er mit Eierkochen gleich selbst vorpraktizierte. Was ist schon das Ei des Kolumbus verglichen mit dem Ei des Ogi! Nichts, es nützte ja auch nichts, doch Ogis Ei hat die Energiepolitik verändert.
  • Als VBS Vorsteher hat er gegen Landminen und für deren Beseitigung gekämpft!
  • Als UNO Sonderbeauftragter für Sport hat er sich für Versöhnung, für Frieden gegen Rassismus eingesetzt.

Das mögen Themen sein, die ihm das jeweilige Amt ins Pflichtfach spülte. Auch andere hätten sich damit befassen müssen.

Aber es gibt einen Unterschied zu denjenigen, die ihre Dossiers politisch verwalten und emotionslos irgendwelche vorgeschriebene Reden herunterleiern.

Adolf Ogi hat alles mit Begeisterung und einer ungewöhnlichen Kommunikationsbegabung vertreten und er hat viele angesteckt, vor allem die junge Generation. Dabei hat er nicht die blutleeren und wohlausgewogenen Phrasen verwendet, die in der Retorte von Kommunikationsstäben oder Beratungsfirmen entstehen. Seine Botschaften gleichen ungeschliffene Diamanten, die etwas sperrig sind, aber gerade deswegen das Licht der Sonne nicht nur reflektieren, sondern in die verschiedensten Richtungen weitergeben.

Auch sie werden von Generation zu Generation weitergegeben.

Eine davon beherrscht freudig jedes schweizerische Jubiläum oder Einweihung.

Das war immer aufgestelltes Engagement, immer aufmunternde Animation, immer Mut und Herz. Das ist in diesem Amt nicht selbstverständlich, wenn wir daran denken, dass es auch einen Bundesrat gab, der auf den Fotos nicht einmal richtig lachen konnte.

Wenn wir schon bei mir sind: Ich habe mich gefragt:

Bin ich für diese Laudatio deshalb befangen, weil ich mit dem Preisträger befreundet bin?

Ja, ich bin ein Freund von Adolf Ogi. Ich bin es geworden während unserer Arbeit im Bundesrat und seit unserer Umarmung beim Durchbruch im Gotthardbasistunnel weiss es die ganze Schweiz. Das Bild kehrte bei der Eröffnung wieder und wurde als Symbol für die vereinigende Kraft der Schweiz kommentiert.

Zwei Politiker aus zwei sehr verschiedenen Parteien, von völlig verschiedener Herkunft umarmen sich spontan. „Das ist die Schweiz!“ schrieben und sagten viele.

Freundschaft ist von grosser politischer Bedeutung.

Die Freundschaft hält die Polis zusammen, sagte Aristoteles. In der politischen Gemeinschaft kommen – im Gegensatz zur Familie - Menschen verschiedener sozialer, ethischer oder religiöser Herkunft zusammen und müssen sich nach vernünftigen Kriterien in gemeinsamer Diskussion finden. Jedes politische Gremium, eine Partei, ein Parlament, eine Regierung ist mit Vertretern und Vertreterinnen mit verschiedenen Interessen zusammengesetzt.

Die politische Bedeutung der Freundschaft zeigt sich darin, dass Freundschaft nur dort sein kann, wo andere als gleichwertig anerkannt werden, wo das Unterschiedliche als gleichberechtigt begriffen wird.

Adolf Ogi pflegte die Freundschaft. Das habe ich im Bundesrat erlebt.

So hat er immer wieder Steine verschenkt, an Minister, an die Besucher seiner Seminare. Er wusste: Steine welken nicht. Sie kommen aus der Tiefe der Jahrtausende und symbolisieren Freundschaft, die weitere Jahrtausende, über kommende Generationen hinaus halten wird.

Freundschaft ist die Gemeinsamkeit in der Verschiedenheit. Wo Freundschaft fehlt, schwindet auch das Politische. Zum selben Ergebnis kommt Peter Bichsel, wenn er über das Verschwinden der Beiz nachdenkt. Dem Wohl der Gemeinschaft können wir uns nur nähern, wenn wir trotz Differenz einen gemeinsamen Nenner finden.

Nur wer die Menschen gernhat, kann sich für sie politisch einsetzen. Nur wer auf die Menschen zugeht, kann ihnen nachhaltig helfen. Wer die Menschen liebt, denkt nicht nur an sich und an die Gegenwart, sondern an die Zukunft und an die Nachkommen.

An was denke ich, wenn ich an den Preisträger denke?

An das Eierkochen?

An die NEAT?

An das Tännlein vor dem Tunnel?

Daran, wie er durch sein beherztes Eingreifen eine Staatskrise vermied, als er den beleidigten chinesischen Präsidenten bei der Hand nahm und ihn wieder an den Tisch zog?

Nein, ich denke an seine Treue und an seine Freundschaft.

Sie ermöglicht politische Solidarität und Stabilität. Sie überdauert Generationen.

Und so verneigt sich vor dem Preisträger Cicero und sagt: Laetitia dominat!

Und so verneigt sich vor dem Preisträger Aristoteles und sagt: Epikratei euphoria!

Und so verneigt sich vor dem Preisträger der Freund und sagt: Diesen Preis hast du verdient!